Die erste größere Tour mit dem Rad führte mich und meinen Kumpel Daniel von Würzburg nach Konstanz über das Umland von Zürich. Nachdem ich im Sommer 2019 ein gebrauchtes Scott-Rennrad gekauft hatte, hat mich die Lust am Radfahren gepackt. Nach dem ersten Monat auf der Straße wurden mit Daniel direkt die ersten Pläne für eine erste kleine Radtour geschmiedet. Nachdem wir zuerst geplant hatten, von Hamburg aus am baltischen Meer Richtung Kaliningrad zu fahren, wurde dieser Plan durch die kälteren klimatischen Bedingungen im Spätsommer verworfen – ein Fehler wie sich später herausstellen sollte.
Neben den klimatischen Herausforderungen (Unsere beiden Schlafsäcke sind nur auf minimal 5 Grad ausgelegt) spielte auch die Zeit eine limitierende Rolle, so dass wir uns letztlich am 9. September 2019 zusammen von Würzburg aus direkt mit dem groben Ziel Zürich aufmachten – eine Tour Richtung Süden statt Norden versprach wärmere Spätsommernächte ohne frierende Beine und weniger Zeitaufwand. Durch die geringe Planungszeit und fehlende Erfahrung musste bei der Zusammenstellung der Ausrüstung einiges improvisiert werden – Daniel und ich haben bei dieser Tour deshalb auch auf eigenes Koch-Geschirr verzichtet.

Wir haben unsere Tour ursprünglich auf 6 Tage aufgeteilt und mit Komoot geplant. Am ersten Tag war der Plan von Würzburg aus Richtung Dinkelsbühl zu fahren, um dort bei einem Kumpel abends etwas zu essen. Nachdem wir verspätet von Würzburg aus losgefahren waren, machte uns direkt das Wetter zu schaffen. Das schöne Sommerwetter in Würzburg gewöhnt wurde es auf dieser Etappe zwar nicht nass, aber dafür windig und kalt. Bei teilweise 7 Grad schlängelten wir uns von Würzburg aus am sehr touristischen Rothenburg ob der Tauber vorbei und mussten ganz schön Kette geben, um am Ende abends noch in Dinkelsbühl mit dem Einbruch der Dunkelheit anzukommen. Dadurch, dass es so kalt war und uns ein Schlafplatz in Dinkelsbühl angeboten wurde, haben wir dies dankend angenommen und eine erholsame Nacht im China-Restaurant Shanghai verbracht. Hier haben wir dann spontan recherchiert, dass es an der Ostsee zur gleichen Zeit deutlich wärmer war – im Süden muss es also nicht immer unbedingt wärmer sein.

Die zweite Etappe führte uns von Dinkelsbühl nach Pfaffenhofen. Das Wetter hatte sich leicht gebessert, trotzdem fühlte sich das Losfahren im leichten Nebel bei frischen 10 Grad nicht sehr angenehm an. Gut gestärkt durch das chinesische Buffet am Morgen ging es wieder auf die Straße. Nachdem der erste Tag aus teilweise bekannten Straßen um Würzburg und Umgebung bestand und viel auf und neben relativ viel befahrenen Landstraßen bestand, wurde die Landschaft immer beeindruckender. Man merkte sofort, dass in diesem Teil von Deutschland noch erfreulich viel Natur existiert, die man auf dem Fahrrad sehr genießen kann. Genossen haben wir auf diesem Teil auch die Höhenmeter, die besonders in einem größeren Climb nach Nördlingen auf uns warteten. Zu diesem Zeitpunkt kam auch das erste Mal die Sonne raus und wir haben die ersten Bussarde gesichtet. Gegen Ende dieses Abschnittes wurde es dann wieder deutlich zivilisierter, was uns die Schlafplatzsuche deutlich erschwert hat. Letztlich haben wir uns mit Google Maps ein kleines Waldstück in der Nähe von Pfaffenhofen gesucht und mit Einbruch der Dunkelheit mit einer Pizza in die Ecke des Waldes zum Übernachten verzogen. Wir hatten Glück und es kam niemand, der uns verscheucht hätte.

Der nächste Tag weckte Daniel und mich mit Sonnenstrahlen – das Wetter hatte umgeschlagen und wir konnten zum ersten Mal in kurzen Trikots fahren. Hier galt auch das erste Gesetz jeder Radtour: Mehr Sonne = bessere Laune = leichtere Beine. Am dritten Tag merkten wir zum ersten Mal leicht die Strapazen der beiden letzten Tage. Dazu trug auch bei, dass die Strecke an diesem Tag zumindest die ersten zwei Drittel nicht sehr abwechslungsreich oder schön gewesen wären. Erst als Nachmittags die Allgäuer Alpen am Horizont ersichtlich waren, konnten wir die Strecke wieder in vollen Zügen genießen.

Der erste Ausblick in den Bergen beim Sonnenuntergang war dann auch etwas ganz, ganz Besonderes – das kann wohl nur verstehen wer selbst mal mit dem Rad eine solche Tour gefahren ist. Durch die exponierte Lage der Täler und den begrenzten Platz hatten wir allerdings schlechte Karten, um wieder im Wald zu übernachten und so haben wir auf dem Campingplatz am Alpsee unser Lager aufgeschlagen. Sehr auf übergroße Campingwägen mit noch größeren Satellitenschüsseln (?!) ausgelegt, freuten wir uns als wir unseren Nachbarn kennen lernten: Sam aus England, der selber mit dem Rad unterwegs war. Im Vergleich zu uns hat Sam eine etwas größere Tour geplant und ist fünf Monate später immer noch auf der Reise von London bis derzeit Griechenland!

Der nächste Tag war überwältigend. Nach den ersten drei Tagen, die uns von Würzburg bis nach fast an die Grenze zu Österreich gebracht hatten, hatten wir endlich das Gefühl auf der Tour angekommen zu sein – und die Landschaft war auch endlich mehr so, wie man sich das vom klassischen Backpacking vorstellt. Kleine Straßen mit wenig Verkehr (zumindest meistens) durch traumhafte Alpenpanoramen. Nachdem wir schnell die Grenze zu Österreich passiert hatten, hatten wir einige Climbs vor uns, dieser Tag sollte auch der Tag mit den meisten Höhenmetern werden.

Durch die Holzfällerlandwirtschaft vor Ort hatten wir zwischenzeitlich auch ein paar aufstiege auf vielbefahrenen Straßen, die für uns mit den zahlreichen Logging-Trucks eher unangenehm zu fahren waren. Unvergessen bleiben von diesem Tag die sympathischen Dorf-Supermärkte in Österreich (und später auch in der Schweiz) und eine Abfahrt über eine nicht befahrene Straße. Nachdem wir auf dieser einige Kilometer von der Bergspitze heruntergefahren waren, erwartete uns hinter einer Kurve der Grund für die Abgeschiedenheit. Ein Erdrutsch hatte die Straße komplett verschwinden lassen. Zum Glück gab es für Spaziergänger eine Umleitung, die man zu Fuß bewältigen konnte und auf denen wir unsere Räder den Abhang hinuntertragen konnten. An diesem Punkt haben wir einen Umweg gewählt, mit dem wir einen abgeschiedenen Aufstieg zur Hauptstraße gefunden haben – wir mussten nur zum ersten Mal über eine etwas längere Schotter-Passage fahren. Mit den 23 mm Reifen ein zuerst gewagt erscheinendes Unterfangen, allerdings haben wir alle technischen Herausforderungen der Strecke meistern können.

Nach dem langen Aufstieg durften wir dann eine sehr steile Abfahrt mit 23 Grad Gefälle fahren und sahen zum ersten Mal den Bodensee. Das letzte Stück an diesem Tag führte uns durch die Schweiz vom Bodensee hoch nach St. Gallen. Das Stück war leider sehr unangenehm, denn scheinbar mögen Schweizer keine Radfahrer auf ihren Straßen – zumindest wurden wir einige Mal bewusst gefährlich eng überholt. Hier gab es auch keine Möglichkeiten zum Wildcamping, so dass wir an einem sehr gemütlichen Campingplatz bei St. Gallen den Abend mit einem etwas verrückten Schotten und einen sehr liebenswürdigen Schweizer verbringen durften.

Durch die negativen Erfahrungen auf den Schweizer Straßen haben wir an diesem Punkt unsere Routenplanung angepasst und auch Schotter-Wege mit in die Planung einfließen lassen. Dadurch waren wir zwar langsamer unterwegs, dafür konnten wir die Landschaft deutlich mehr genießen. Eigentlich wollten wir nach Zürich fahren, haben uns dann aber doch entschlossen, dass es uns reicht, wenn nur in die grobe Richtung fahren und lieber etwas weiter weg von der hektischen Hauptstadt bleiben. Nach einem längeren Schotterabschnitt an dem Fluss Thur entlang, kamen wir in das hügelige Schweizer Hinterland. Auf dem Veloweg Mittellandroute 5 fuhren wir Richtung Winterthur und tauchten in das Mischmasch aus traumhafter Landschaft, gemäßigter Landwirtschaft, Schweizer Kultur, den großartigen Volg-Supermärkten und der guten Fahrradinfrastruktur neben dem kleinen Flüsschen Töss ein. Abends versuchten wir unser Glück und fragten die lokalen Bauern, ob wir bei diesen auf dem Grundstück bzw. der Weide unsere Zelte aufschlagen durften. Wir hatten dabei aber die Öffnungszeiten der Supermärkte nicht berücksichtigt, so dass wir am Ende zwar einen Schlafplatz gehabt hätten, aber dort in der Nähe keine Nahrungsmittel mehr kaufen konnte. Da wir unmöglich hungrig schlafen gehen konnten, bleib uns am Ende nichts anderes übrig als weiterzufahren bis wir einen Camping-Platz direkt am Rhein in Flaach gefunden haben. Bei diesem konnten wir noch schnell am Kiosk etwas zu essen kaufen und auch die Lage direkt neben dem Rhein stimmte uns freudig nach dem langen Tag. Aufgewachsen am Rhein, ist der Gedanken beeindruckend, dass wir letztlich den Fluss den wir aus der Heimat kennen, hier wieder näher am Ursprung zur Quelle begegnet sind.

Am letzten Tag hatten wir uns vorgenommen, dass wir nach Konstanz fahren würden, um von dort aus wieder nach Würzburg mit dem Zug zu gelangen. Konstanz wäre damit das Ziel gewesen. Wir konnten zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keinen Zug mit Bindung buchen, weil wir uns zwecks der Ankunftszeit nicht festlegen wollten, da wir die Landschaft am letzten Tag nochmal besonders genießen wollten. Diesen Tag fuhren wir praktisch den ganzen Tag am Rhein oder zumindest in der Nähe entlang. Im Gegensatz zum Rhein, der durchs Rheinland fließt, hat das Wasser hier eine noch ganz andere Farbe, die aus grünlichen und tatsächlich sogar blauen Elementen besteht. Wir hatten uns auf der Karte noch den Rheinfall ausgesucht, den wir gerne besuchen wollten. Der Rheinfall war am Ende ein … Lassen wir den Wortwitz an dieser Stelle sein, aber es war leider sehr überfüllt. Eine gute Sicht auf das Spektakel – der (3.) größte Wasserfall Europas – hat man nur, wenn man mit einem (kostenpflichtigen) Aufzug zu einer Steganlage abgelassen wird. Das war uns aber auch herzlich egal, denn für uns war die Strecke das Highlight. Ein paar Mal haben wir hier zwischen Deutschland und der Schweiz hin und her gewechselt und haben schöne Altstädte und historische Brückenanlagen gesehen. Nach einer Pause am Rhein, der an dieser Stelle fast einem kleinen Strand glich, machten wir uns an die letzten Kilometer am Bodensee entlang Richtung Konstanz.

Wenn man den Bodensee das erste Mal sieht, ist wahrscheinlich jeder von der Größe überrascht. Wir hatten also noch einige Kilometer vor uns, die Daniel und ich auf schönen Radwegen hinter uns gebracht haben. Am Ende war die Freude groß, als wir in Konstanz angekommen sind – unserem eigentlichen Ziel. Wir hatten trotzdem den ersten und leider auch den letzten Regionalexpress nach Würzburg verpasst, weswegen wir versuchten einen IC zu buchen. Da die deutsche Bahn auch im Mobilitäts-Management für Radreisen etwas der Zeit hinter hinkt, waren leider die einzigen beiden (!) Stellplätze für die Räder bereits belegt und wir konnten mit den Rädern unmöglich mehr nach Würzburg gelangen. Nach einem schnellen Telefonat und dem Fahrplanstudium konnten wir einen Schlafplatz bei einem Kumpel in Frankfurt ausmachen und schnell den Regionalexpress nach Frankfurt buchen. In Frankfurt hatten wir dann standesgemäß noch ein paar Kilometer durch die Wälder um Dreieich zu unserer Schlafgelegenheit zu fahren, die wir nachts noch hinter uns bringen konnten.
Eigentlich sollte an dieser Stelle die Tour bereits beendet sein, aber Daniel und ich waren ja noch nicht in Würzburg angekommen. Wir hätten mit dem Regionalexpress nach Würzburg fahren können, haben uns aber dazu entschieden, noch einen Bonustag einzulegen und sind mit dem Zug nur nach Erlenbach gefahren. Dadurch haben wir den uninteressanten Teil der Strecke durch das Flachland bis nach Aschaffenburg, die ich früher schon einmal gefahren bin, umgehen können und fuhren direkt durch den Spessart nach Würzburg zurück. Nach einigen Aufstiegen durch die Spessarter Höhen kamen wir bei Collenberg am Main an und konnten entspannt bis Wertheim am Main fahren. Den letzten Teil der Strecke nach Würzburg absolvierten wir auf dem Romantischen Radwanderweg bei immer noch seit dem dritten Tag traumhaften Wetter mit wolkenlosem Himmel. Die letzten Meter bis nach Hause haben eine große Euphorie ausgelöst und wir kamen nach sieben Tagen wieder in Würzburg an der Mainbrücke an.

Auf der Tour haben wir an sieben Tagen insgesamt 700 km und über 5000 Höhenmeter absolviert. Daniel und ich hatten erwartet, dass uns die körperliche Anstrengung mehr fordern würde. Stattdessen lernt man auf so einer Tour die einfachen Dinge des Lebens mehr schätzen zu wissen, wenn man sich aus der Komfortzone herauswagt. Fließendes Wasser, einen Supermarkt in der Nähe, die Gefährlichkeit des Straßenverkehr, die ständige Suche nach Schlafmöglichkeiten, die Angst beim Wildcampen entdeckt zu werden – alles das hat uns gefordert und stärker gemacht. Wir sind bald wieder unterwegs!